Anna Gudjónsdóttir – Das tiefe Tal der Rentiere: Pressetext

Anna Gudjónsdóttir
Das tiefe Tal der Rentiere, Forellenportraits, über einhundert Steine, Eier,
Vitrinenblicke, fünfunddreißig Zelte und weitere Bilder
5. November – 23. Dezember 2000

Mitten durch die Leinwand eines riesigen, quer in den Raum gestellten Landschaftsbildes hindurch betritt man die Ausstellung von Anna Gudjónsdóttir im Kunstverein Springhornhof in Neuenkirchen. In ihrer ersten größeren Einzelschau hinterfragt die in Hamburg lebenden Isländerin verschiedene Formen der kulturellen Aneignung von Natur.

Ausgangspunkt für Gudjónsdóttir ist die Landschaft ihrer nordischen Heimat, die sie seit mehreren Jahren einer künstlerischen Analyse unterzieht. Souverän bedient sie sich dabei ganz unterschiedlicher Gattungen von Malerei. Sie transponiert Wasseroberflächen in monochrome Bilder mit glänzend lackierter Oberfläche, oder vergrößert winzige Moose und Flechten zu abstrakten Farbstrukturen auf großformatige Leinwände. Ein anderes häufig
wiederkehrendes Motiv sind Ausblicke durch leere Vitrinen oder Wasserschleier hindurch auf Landschaften und Naturschauspiele.

Als reales Anschauungsmaterial dienen lebende Fische in einem Wasserbassin und eigenhändig gesammelte Stein- und Vegetationsproben, die Gudjónsdóttir in Vitrinenschränken und auf Tischen sortiert. In ihren fotografischen Arbeiten kontrastiert sie stimmungsvolle Landschaftseindrücke mit der Dokumentation
der Schlachtung eines Rentiers oder Fotos von Fischen, die sie selbst gefangen hat.

Diese formal ganz unterschiedlichen Objekte und Bilder ergänzen sich als sogenannte „Sehhilfen“ zu einer facettenreichen Bilderwelt, die ganz unterschiedliche Blickwinkel auf Natur und Landschaft erschließt: den des reisenden Naturliebhabers, den des strukturierenden Wissenschaftlers oder den des einheimischen Jägers.

Tradierte Unterscheidungen nach künstlerischen und nicht-künstlerischen Verfahrensweisen sowie Gegenständlichkeit und Abstraktion erweisen sich innerhalb dieses Zusammenhangs als wenig tauglich. Um so mehr fordert die Ausstellung von Anna Gudjónsdóttir dazu heraus, diese Kategorien und Sichtweisen zu hinterfragen.

Gefördert durch das Land Niedersachsen, die Stiftung Niedersachsen und die EWE AG.

Fotos von der Ausstellungseröffnung am 4. November 2000
Katalog