Land in Sicht – Kunst. Jugendliche. Projekt: Pressetext

Land in Sicht
Kunst. Jugendliche. Projekt
Wünsche? Treffen? Musik? Kleidung? Durak? Fotos? Regeln? Wiederholung?

von Rabea Eipperle (homepage) und Rahel Puffert
mit Sergej Baal, Sergej Horn, Caspar Meurer, Moritz Meurer, Artjom Root, Nancy Saenger u.v.a.
18. November bis 16. Dezember 2001

Was bewegt Jugendliche in Neuenkirchen? Wie sehen sie sich? Wie werden sie von anderen gesehen? Wo halten sie sich am liebsten auf? Wie kommunizieren sie miteinander? Wovon träumen sie? Wer und wie wollen sie sein?

Mit diesen Fragen im Kopf waren die Künstlerin Rabea Eipperle (Berlin) und die Kunstvermittlerin Rahel Puffert (Harnburg) in Neuenkirchen angereist, um gemeinsam mit jungen Neuenkirchenern nach bildhaften Lösungen zu suchen. Von Bettina v. Dziembowski vom Kunstverein Springhornhof für ein Kunstprojekt mit Jugendlichen eingeladen, stießen sie auf der Suche nach geigneten Kontaktpersonen auf das sogenannte „Juze“ an der Soltauer Straße, wo die engagierten Betreuer Helmut Ziel und Elke Schmidt seit einiger Zeit ein Treffpunkt für und mit Jugendlichen des Ortes aufbauen und gestalten. Es wurde beschlossen, künftig zusammenzuarbeiten.

Wie sehr die Teenager in ihrem Alltag mit Fragen und Formen der Selbstdarstellung beschäftigt sind, das wurde dem Gastteam Rabea Eipperle und Rahel Puffert bereits beim ersten kennen lernen im Spätsommer deutlich. Den Abgleich von fremden und eigenen Perspektiven auf den Alltag ins Visier zu nehmen und daraus neue Bilder zu produzieren, die die unaufhörliche Suche nach dem passenden Bild zur Darstellung bringen, war die selbstgestellte Herausforderung. Zehn Tage arbeiteten sie zusammen mit den Jugendlichen daran, Bilder zu finden, zu sammeln, zu erfinden oder zu inszenieren. Entstanden ist eine Konstellation von Fotoserien und drei Kurzvideos.

Auf ganz unterschiedliche Weise vermitteln die Bilder und Videos dem Besucher Einblicke in die Lebenswelt der jungen Dorfbewohner. An der Wand entlang sind 123 Photos zu zwei Bändern aneinander montiert. Die mit Einwegkameras fotografierten Snapshots der Jugendlichen erzählen vom Alltag im „Juze“: von Billardspiel und Gartenidyll, Entspannung auf der Couch und Posing auf dem Dach. Die Fotos zeugen auch von unbefangenen Versuchen, die Kameras als alltägliche Begleiter einzusetzen, mit Blicke winkeln und Lichtsituationen zu spielen und zu experimentieren.
Statischer und durch die technische Perfektion fast unterkühlt ist die Photoserie, die das Interesse der Künstlerin Rabea Eipperle an der fotografischen Aufführung von „landläufigen“ Klischees verrät. Zu überzeichnet, um authentisch zu sein, wirken die Posen, mit denen Nancy Saenger und Moritz Meurer auf diesen Bildern erscheinen. Die sukzessiv versetzten Ausschnitte eines nach gestellten Zwiegesprächs am Sportplatz geben aber dennoch charakteristische Haltungen wieder und lassen sich nicht als reines Schauspiel entlarven. Unentscheidbar bleibt, was an diesen Bildern „wirklich“ oder „echt“ ist.

Ähnlich verhält es sich mit dem Video „Widerspruch in sich“, das dieselben Darsteller auf Regiestühlen vor einer Tenniswand zeigt. Im Gespräch wechseln die Haltungen und Themen ebenso schnell, wie bei dem anspruchsvollen Sport. Wer nun eigentlich gewonnen hat, entscheidet der Betrachter nach seinen eigenen Regeln.

Regelrecht versunken im landschaftlichen Idyll wirken Sergej Baal und Caspar Meurer in einem weiteren Video mit dem Titel „Durak“. Beim näheren Hinsehen ist es. wohl eher das gleichnamige russische Kartenspiel, in das sie so vertieft scheinen, dass sie die umgebende Welt vergessen haben.

Fast ohne Darsteller kommt das Musikvideo „Disco“ aus. Auf den ersten Blick gibt es nicht mehr zu sehen, als einen Raum im Jugendzentrum, doch nach und nach entwickeln harmlose Gegenstände, wie ein Tennisball und eine Milchkanne, ein geheimnisvolles Eigenleben.

Wie die Kunstvereinsleiterin Bettina von Dziembowski in ihrer Begrüßung erläuterte, war sie schon öfter aufgefordert worden „etwas für die Jugend zu tun“. Wenn das Projekt „Land in Sicht“ die (erwachsenen) Betrachter dazu anregen kann, ihre Bilder vom Jugendlichen zu überprüfen, dann könnten sie, Rabea Eipperle, Rahel Puffert und die Jugendlichen von „Juze“ dazu einiges beigetragen haben.

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