Silke Schatz

Eiche tätowiert. Küche V, Tanzboden

Architektur dient dazu, Raum zu definieren, innen und außen und damit die öffentliche und private Sphäre voneinander zu trennen. Die Räume eines Hauses oder Gebäudes müssen sich faktisch wie symbolisch öffnen, um als Interieur fassbar zu werden. So impliziert das Interieur durch seine Fenster und Türen eine Projektion aus dem Inneren einer geschlossenen Struktur hinaus ins Offene. Gleichzeitig eröffnet Architektur aber auch eine Sichtweise auf die natürliche Umgebung, der sie als künstliche Setzung entgegentritt und in die sie strukturierend eingreift – die Landschaft wird zur Gegend, der Raum wird zum Ort.

Silke Schatz‘ Skulptur „Küche V, Tanzboden“ basiert auf dem Grundriss der Küche eines über längere Zeit in Zeichnungen und Collagen eklektizistisch aus verschiedenen kulturellen Vorbildern erinnerten Hauses, dessen räumliche Dimensionen sie im realistischen Maßstab nachbildet. Das mit einem Geländer umschlossene, ansonsten aber offene Konstrukt, das die Ausbuchtung eines Fenstererkers ebenso rekonstruiert wie die Öffnung der Eingangstür und die des Übergangs in einen Nebenraum, lässt sich von zwei Seiten betreten. Kontingente Grenzverläufe von öffentlichem und privatem Raum werden so durch vorgegebene Eingangssituationen markiert, obschon die Holzkonstruktion selbst wie ein transparenter Kubus in der Landschaft steht.

Als definierter Ort im Raum zielt „Küche V, Tanzboden“ auf eine thematische Verschränkung des buchstäblichen und des gesellschaftlichen Ortes. Die Installation greift in eine landschaftliche Gegebenheit ein, der sie eine räumliche Definition verleiht, versteht sich aber auch als Bühne des Sozialen, die dazu einlädt, von ihr Besitz zu ergreifen oder ganz allgemein die Potenzialität des Ortes zu nutzen. Als Konstruktion, die eine bestimmte Situation vorgibt, geht sie mit einem verstärkten Bewusstsein für die Bewegung des eigenen Körpers im Raum, seine Positionen und Perspektiven, einher. Die ereignishafte Benutzung der Skulptur wird zum konstitutiven Bestandteil des Werkes. Die Besucher, die beim Betreten des Tanzbodens wie auf einer Bühne agieren, Zuschauer und Akteur zugleich sind, verwandeln sich im weitesten Sinne in soziale Körper, die um ihren Status als Subjekt und Objekt verschiedener Blickkonstellationen wissen. Der Tanzboden ist somit nicht bloß Objekt der Betrachtung, sondern offener Handlungsraum, in dem jeder zum virtuellen Protagonisten werden kann.

Teile des Geländers von „Küche V, Tanzboden“ hat Silke Schatz mit gezeichneten eingebrannten Augen quasi tätowiert. Es handelt sich um „porträtierte“ Augen von Freunden der Künstlerin, die sich ornamenthaft über die Holzbalken ziehen. Einerseits setzen sie den verschiedenen Blickregimes, die sich in der Situation des Tanzbodens spiegeln, eine weitere metaphorische Beobachtungsebene hinzu, andererseits wirken sie wie eine individuelle Markierung der Skulptur, der im Laufe der Benutzung vermutlich andere Markierungen folgen werden. Diese Markierungen sind konzeptionell in die Idee der adaptierenden Benutzung der Skulptur eingebunden, denn der Tanzboden, die traditionellere Version des Dancefloor, impliziert ja selbst eine temporäre Überschreitung konventioneller Verhaltensweisen. Die Selbstinszenierung im öffentlichen Raum findet zu Konditionen statt, die anders sind als im Alltag. „Küche V, Tanzboden“ ist in diesem Sinne Werk und Ereignis, Repräsentation und Präsenz zugleich – ein Ort am See, in den sich Spuren der Vergangenheit faktisch und symbolisch einlagern werden, aber auch eine Metonymie für eine Form von Freizeit, in der die Vorstellung vom Alltag abgelöster Freiheit noch immer präsent sein will.

Gefördert durch den Lüneburgischen Landschaftsverband und die EU-Gemeinschaftsinitiative Leader +

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