Lea Lublin – Interrogations sur l’art / Fragen über die Kunst: Pressetext

Lea Lublin
Interrogations sur l’art / Fragen über die Kunst
27. Mai – 12. August 2001

Ist Kunst – ein Verlangen?
Ist Kunst – eine Mysti-fikation?
Ist Kunst – ein Kommunikationssystem?
Ist Kunst – ein Sexualproblem?
Ist Kunst – eine Ware? …

So lauteten 27 Fragen auf einem meterlangen Transparent, mit denen die argentinisch-französische Künstlerin Lea Lublin (1929 – 99) im Sommer 1975 die Dorfbewohner von Neuenkirchen in der Lüneburger Heide konfrontierte. Die neugie-rigen Passanten wurden von der Fanfare eines Trompeters auf dem Vorplatz des Supermarktes zusammengerufen. Unterstützt von Helfern mit Videokameras und Mikrofon ließ die Künstlerin die Einwohner nach der Relevanz von Kunst in ihrem Leben befragen.

Die spektakuläre Aktion war Teil des Symposions“Foto-Film-Video“, das der Springhornhof in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen-Jugendwerk veranstaltet hatte. Künstler aus Frankreich und Deutschland, darunter Groupe Art Sociologique, Fabrizio Plessi, Anne & Patrick Poirier und Ingeborg Lüscher, waren aufgefordert, sich mit den Lebensverhältnissen in einem niedersächsischen Dorf auseinander zu setzen. Die entstandenen Dokumente, Videos und Filme, die anschließend im Musée de L’art Moderne in Paris gezeigt wurden, sind größtenteils verschollen. Lediglich die Fahne und wenige Fotos von Lublins Aktion sind erhalten geblieben. Einige der älteren Dorfbewohner von Neuenkirchen können sich allerdings noch lebhaft an die Aktion erinnern.

Am selben Ort, mit mehr als 25 Jahren Abstand, unternimmt Ausstellung einen Rück-Blick auf Lea Lublins Beitrag für „Foto-Film-Video“ und stellt diesen in den Kontext ihres Gesamtwerks. Dabei stellt sich das Problem, wie man eine Jahrzehnte zurückliegende Aktion angesichts veränderter sozialer und politischer Bedingungen überhaupt mit einer Ausstellung erfahrbar machen kann.

Die Frage nach Erinnerung und individueller Erfahrung innerhalb gesellschaftlicher Kontexte war stets Teil der künstlerischen Arbeit von Lea Lublin. Bereits 1968 stellt sie sich in „Mon Fils“, gemeinsam mit ihrem sieben Monate alten Sohn im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris aus. „Diese Bewegung nach innen, in das Feld der eigenen Erfahrungen gleicht einer Spurensuche – einer Archäologie der Erfahrung, die neben soziologischen und psychoanalytischen sowohl mythologische als auch historische Facetten widerspiegelt.“ (Probst)

Dabei schaffen insbesondere die großräumigen Environments von Lea Lublin, wie „Terranautas“, 1969 in Buenos Aires und „Fluvio Subtunal“, 1969 in Santa Fé spielerische Ausgangssi-tuationen für interaktive Erfahrungs- und Erkenntnisprozesse des Betrachters. Die Installation „Dedans/Dehors le Mu-sée“ (1971/1974) thematisierte die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlichen Prozessen außerhalb des Museums und Kunst im Museum. Im Eingangsbereich wurden Dias von historisch bedeutsamen Kunstwerken auf transparente PVC-Folien projiziert. Der Besucher durchdrang mit seinem Körper die Mythen der Kunst-geschichte wie durch einen Vorhang und sah sich aufge-fordert, „visuelle Konditionierungen“ (Lublin) zu hinterfragen.

Ende der achtziger Jahre folgt Lea Lublin den Spuren von Marcel Duchamp, der 1918/19 für mehrere Monate in Buenos Aires gelebt hat. Sie lässt sich den Aufenthalt von Duchamp in Argentinien notariell beglaubigen. Sie sucht sein angebliches Atelier auf. Sie entdeckt irgendwo ein Werbeplakat für „Rose’s lime juice“, das die Quelle für Duchamps Pseudonym Rrose Selavy sein könnte. Sie begegnet einem anderen Pseudonym“Victor“ als Graffiti an der Hauswand über einem (Duchamps?) Briefkasten.

Es handelt sich um eine fiktive Annäherung, bei der sich die vielschichtigen Interessen von Lea Lublin, als Künstlerin, aber auch als Argentinierin auf der Reise in die eigene Vergangenheit, und die (kunst-) historischen Fakten und Ereignissen nicht trennen lassen. Einen alten schmiedeeisernen Kerzenständer erklärt sie zum „Objet perdue“ von Marcel Duchamp“. In der Installation „La Bouteille perdue de Marcel Duchamp“ überlagert Lublin auf einer Serie von Leuchtkästen das Werbeplakat von „Rose’s Lime Juice“ mit Abbildungen von Duchamps Ready Mades „Air de Paris“ und „Belle Haleine“, die mittlerweile zu den Schlüsselwerken der Kunst des 20. Jahrhunderts gehören. Es geht Lea Lublin stets um die systematische Aneignung und Dekonstruktion von Bildern und Zeichen und die Offenlegung der mit ihnen verbundenen Bedeutungsgeflechte und Wahrnehmungsprozesse.
Die Ausstellung wird gefördert durch das Land Niedersachsen und die Stiftung Niedersächsischer Volksbanken und Raiffeisenbanken.

Fotos von der Ausstellungseröffnung am 26. Mai 2001