The Simple Life

28. Oktober – 16. Dezember 2012

Angela Bulloch, Josephine Meckseper, Shana Moulton, Fabian Reimann, Simon Starling, Niko Wolf

Das Bewusstsein um die existentielle Notwendigkeit nachhaltigen Handelns angesichts vielfältiger Umweltprobleme und sozio-ökonomischer Krisen ist heute in der westlichen Welt eng verflochten mit der nicht zuletzt auch hedonistischen Sehnsucht nach einem »guten Leben«. Durch »intelligente« Konsumation sollen unsere Körper und Psychen vital gehalten und zugleich der Umwelt Sorge getragen werden – ein Anspruch, in dem sich Ethik und Konsum, Ästhetik und Nachhaltigkeit nicht ausschließen. Individuelle Versuche einer politisierten Alltagspraxis und eines am vielschichtigen Begriff der »Nachhaltigkeit« ausgerichteten Lebensstils orientieren sich dabei bewusst oder unbewusst an unterschiedlichsten, medial verbreiteten Angeboten, Erkenntnissen und Überzeugungen. Ein populäres Begehren in diesem Diskurs ist die Rückkehr zum »Einfachen« und »Naturnahen«, mit welcher der Denaturalisierung und Überkomplexität unserer Lebenswelt begegnet werden soll. Mit diesem Verlangen gehen Vorstellungen etwa vom Gebrauch wiederverwertbarer Produkte, von Verlangsamung sowie einer generellen Reduktion auf das »Wesentliche« einher, die sich teils von der Sehnsucht nach einer Wiederverzauberung der Welt begleitet finden. Die Ausstellung »The Simple Life« präsentiert Arbeiten, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln den Wunsch nach auf Nachhaltigkeit und Ursprünglichkeit bedachter Lebensführung thematisieren. Zugleich greifen sie deren Aporien auf und reflektieren die Rolle »der Kunst« in diesem Diskurs.

Mit dem neuen, für den Ausstellungsort entwickelten Wandgemälde »Let’s Go Paleo« (2012) setzt die Künstlerin Angela Bulloch das Konzept ihrer 1992 begonnenen Werkgruppe »Rules Series« fort, einer kontinuierlich wachsenden Sammlung versprachlichter Regeln, Vorschriften und Normen. In dieser Arbeit wird das gastronomische Modell einer als archaisch gelabelten Ernährung thematisiert – die als besonders genussvoll und gesund gepriesene paläontologische »Cuisine« gerät zum Extrembeispiel einer Sehnsucht nach Ursprünglichkeit. Deren Prinzipien finden sich formal verwoben mit den von der modernen japanischen Makrobiotik gelehrten fünf Grundfarben einer nach Harmonie und Balance strebenden Ernährungsästhetik.

Simon Starling ist mit der für die Ausstellung aktualisierten Installation »Carbon (Pedersen)« (2003) vertreten, in der zwei vom dänischen Designer Mikael Pedersen 1897 entwickelte Fahrräder mit ihrem distinktiven, triangulären Feinkornstahlrahmen im Zentrum stehen. Während das Fahrrad als Klassiker der Freizeitindustrie, Symbol für eine naturnahe und gesunde Fortbewegung, heute einer dem Verlangen nach Umweltfreundlichkeit angepassten »conspicuous consumption à la mode« begegnet und zu einem zur Schau gestellten Lifestyle-Vehikel avanciert, transformiert Starlings Arbeit zwei der Pedersen-Fahrräder gleichsam in ein »Survival Kit«. Inspiriert sowohl von einer kubanischen D.I.Y.-Technik, einem von einer Motorsäge angetriebenen Fahrrad, und vom Design des französischen VéloSoleX-Moped, werden die Hybridmaschinen genutzt, um Holzstämme aus der Gegend um den Ausstellungsraum zu fällen. Die Installation verweist auf Starlings anhaltendes Interesse an der Sichtbarmachung permanenter »Re-zyklierbarkeit« von Materialien, Formen und Ideen über Raum und Zeit.

In der Video-Arbeit »Whispering Pines 4« (2007) von Shana Moulton mimt die Künstlerin die Glück und Heilung suchende Figur Cynthia, die heutigen New-Age-Praktiken und -Produkten sowie der Suche nach Verschmelzung mit der Natur verfallen ist. Die Schauplätze ihrer Bemühungen changieren dabei zwischen unberührter Felslandschaft, wohlig eingerichteten Innenräumen voller Nippes sowie der Gartenlaube einer weisen Frau, die als Ratgeberin aufgesucht wird. Diese Orte finden sich stets aufgebrochen von einem Raum der Trance, der sich wiederum mit der diesseitigen Welt durch wiederkehrend auftauchende Symboliken verbindet. Diffuse religiöse Bezüge verschiedenster Provenienz kombinieren sich mit Anspielungen auf die künstlerische Modernismen: Erlösungsversuche durch Einswerden mit der kosmischen Natur treffen auf hypersensible Eitelkeiten.

Solche Narzissmen finden sich im Werk der Künstlerin Josephine Meckseper konfrontiert mit Verstrickungen in die Sphären von Politik, Konsum, Kunst und Utopie. Mit spiegelnder Oberfläche offeriert »Shelf No. 37 (2007)« (2007) sorgsam arrangierte, glänzende Objekte: Reinigungsinstrumente wecken zugleich Vorstellungen von Verschmutzung und aggressiver Säuberung von Körpern und Umwelt; Nylonstrümpfe, Surrogat für Naturseide, verwandeln ein Luxusgut in Massenware, während eine Pfauenfigur mit aufgeschlagenem, doch spärlichem Rad ebenso auf edles Naturmaterial wie auf Eitelkeit und Vanitas verweist. Abstraktionen und Symboliken aus Zahlen und Wörtern erzeugen ein Begehren, Zusammenhänge zu verstehen, das sich jedoch unaufhörlich in den glatten Oberflächen bricht. Eine Leinwand, strukturiert durch pudrige Farbtöne, fügt sich nahtlos in die Ästhetik dieser negativen Schaufläche und bietet als Carte Blanche gleichsam eine Fluchtlinie für weiterführende Projektionen, Schrecken und Utopien.

Des Weiteren freuen wir uns, in der Ausstellung die realisierten Entwürfe der Preisträger des Daniel Frese Preis 2012 zu präsentieren, der in diesem Jahr zum Thema »Kunst und Nachhaltigkeit/ Nicht-Nachhaltigkeit« ausgelobt war: Niko Wolf, Preisträger in der Kategorie »junge Kunst«, befasst sich in seiner Installation »Erdhügelmuseum oder: Die Ökonomie des Vergessens« (2012) mit Maulwurfshügeln auf dem Grundstück des Gesamtkunstwerks »Kunststätte Bossard« in Norddeutschland. Der Künstler hat über mehrere Monate alle auf dem Areal vorfindbaren Hügel dokumentiert und übersetzt die gesammelten Materialien für die Ausstellung in ein entlang musealer Logiken entwickeltes System des Archivierens, Auswählens und Präsentierens. So setzte Wolf etwa einen »kuratorischen Beirat« aus fünf Personen ein, deren Professionen mit seinen künstlerischen Arbeitsweisen und -bedingungen zu tun haben – z.B. eine Biologin, einen Künstlerkollegen und einen Bankmitarbeiter. Dieses Gremium betraute er mit der Aufgabe, anhand seines umfassenden »Maulwurfshügelregisters« einzelne Fotografien von Hügeln auszuwählen. Die ausgewählten Motive werden auf Postkarten reproduziert, die kostenlos für Besucher/innen zur Verfügung stehen. Doch mittels solcher Strategien mimikriert und reflektiert Wolf nicht nur die In- und Exklusionsmechanismen von Museen. Im Dickicht heutiger künstlerischer Möglichkeiten geht er mit dieser »Earth Art« einen Schritt zurück und nimmt den universalen Urstoff überhaupt zum Ausgangspunkt für Überlegungen zu nachhaltigen Kunstproduktionen.

Fabian Reimann zeigt den Raumessay »Das Gedächtnis der Sterne« (2012), der unterschiedliche planetare und auf extraterrestrische Eroberungen bezogene Medienereignisse realer und fiktiver Art zusammengefügt. Die Nachhaltigkeit der Wissensträger menschlicher Kultur, deren Haltbarkeit und Vermittlungsmöglichkeit werden zur Debatte gestellt. Vermag etwa eine goldene, in den Weltraum entsandte Tafel voller Zeichen – die Pioneer-Plakette –, die ebenso »exotisch« anmutet wie westlich-binären Denktraditionen entstammt, universell kommunizieren? Wie nachhaltig können interessengeleitete Wissensproduktionen sein? Reimanns Arbeit berührt dabei stets die Frage nach dem technischen Fortschritt, nicht zuletzt kritisch assoziiert mit anthropogenen Veränderungen der Erdatmosphäre und deren politischen Dimensionen. Dabei wird reflektiert, dass technischer Fortschritt unabhängig von diesen, in ihrer ganzen Tragweite noch nicht absehbaren Effekten stets noch als Hoffnungsquelle fungiert.

Kuratorische Kollaboration: Valérie Knoll, Cornelia Kastelan, Bettina von Dziembowski

Die Ausstellung basiert auf einer Kooperation von Kunstverein & Stiftung Springhornhof mit dem im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) von der EU und dem Land Niedersachsen geförderten Projekt KIM, Innovations-Inkubator der Leuphana Universität Lüneburg.

www.kim-art.net